Toleranz
"Gell, man muss sich beim Anstoßen in die Augen scheuen." -"Und man darf es nicht überkreuzt machen, das bringt nämlich Unglück." "Ja, das wissen ja alle, oder? Aber noch was: Man muss, bevor man trinkt, kurz mit dem Glas auf den Tisch klopfen, dann kriegt man keine schwulen Kinder." "Hä? Das hab ich ja noch nie gehört..."
Wie war das doch gleich mit der Toleranz und Akzeptanz von Minderheiten? Solche beiläufigen Kommentare zeigen doch immer wieder, dass es in den Köpfen der Leute noch nicht angekommen ist. Natürlich, jeder ist ja tolerant und akzeptiert alle Menschen, kein Zweifel. Die Welt reagiert empört, wenn ein größenwahnsinniger Staatschef gegen Juden hetzt und Israel von der Landkarte tilgen will, und viele verurteilen die dänischen Karikaturen insofern, dass es unüberlegt war und schon irgendwie diskriminierend gegenüber von Muslimen ist. Aber die Intoleranz lebt weiter, in den Köpfen der Menschen, oft auch unbewusst, was man immer wieder an Bemerkungen und Witzen merken kann. Gibt es da nicht dieses Museum für Toleranz in den USA, an dessen Ende sich die Besucher zwischen zwei Türen entscheiden müssen, auf der einen steht sowas wie "Wer tolerant ist, möge durch diese Tür gehen" und wer diese Tür öffnet, steht vor einer Steinmauer? Was heißen soll, dass niemand wirklich tolerant ist, sondern jeder Mensch immer irgendwie intolerant ist und Vorurteile hat.
Die meisten Menschen scheinen nach dem Motto zu leben "Solange es nicht mich betrifft, bin ich tolerant".
"Ich habe nichts gegen Schwule - glücklicherweise bin ich aber keiner.
Ich habe auch nichts gegen Ausländer - solange sie schön unter sich bleiben und ich nichts mit ihnen zu tun habe.
Ich habe nichts gegen Behinderte - was wäre, wenn jetzt ausgerechnet mein Kind behindert ist?
Ich habe nichts gegen Muslime - aber ein bisschen suspekt ist mir die Religion ja schon, irgendwie..."
Weit verbreitete Meinungen...
Solange man sich von allem fernhält und sich nur an altbewährte Dinge hält, ist es einfach zu sagen, dass man tolerant ist. Und solange Toleranz nur daraus besteht, seine Ruhe haben zu wollen, bedeutet Toleranz nichts anderes als dass einem die anderen egal sind.
Es wird noch lange dauern, bis die drei Grundsätze der französischen Revolution erfüllt sind. "Liberté, Égalité, Fraternité". Rechtlich gesehen gibt es Freiheit und Gleichheit schon seit einiger Zeit. Aber Brüderlichkeit kann man ja nicht rechtlich regeln, man kann niemanden dazu zwingen, sich mit türkischen Einwanderen verbunden zu fühlen. Zweihundert Jahre ist die Revolution schon her, und immernoch ist vom letzten Begriff nicht allzu viel zu spüren.
Und solange diese "Hauptsache nicht ich"-Haltung weiter fortbesteht, ist Toleranz nur ein leerer Begriff. Mir tut es immer wieder weh, wenn ich bei mir diese Intoleranz im Kleinen entdecke, oder wenn ich irgendwelche geringschätzigen Bemerkungen oder Witze höre, und sie, ganz schlimm, vielleicht sogar witzig finde...